«Die Bibel schob Eva die Schuld zu»
Nach Ihrem Bestseller, dem «Tagebuch der Menschheit», legen Sie ein Buch über Eva vor. Was hat Sie an ihr fasziniert?
Schon bei unserer Lektüre derBibelals ein «Tagebuch der Menschheit» hat uns, den Historiker KaiMichelund mich, etwas in den Banngezogen: Zwar verdammt Gott gleichauf den ersten Seiten die Frauen dazu,den Männern untertan zu sein, andererseitstreten aber auch viele starkeFrauen in der Bibel auf. In unseremneuen Buch zeigen wir, wie die sozialeUngleichheit von Frauen und Männernin die Welt kam und erklären,warum sich diese Verirrung so langehalten konnte. Es geht uns nicht alleindarum, die biblische Eva zu entlasten.Wir sind ja Agnostiker. Unser Buchzeigt auf, wie die Welt so ungerechtwerden konnte.
Waren die Verhältnisse früher anders?
Ja, während 99 Prozent derMenschheitsgeschichte war dieGleichberechtigung der Geschlechtervöllig normal. Um Menschen zu verstehen,dürfen wir uns nicht nur aufdie Schriftkulturen der letzten vier,fünf Jahrtausende beschränken. Wirmüssen auch die Jahrhunderttausendeeinbeziehen, in denen unsereVorfahren als Jäger und Sammlerherumzogen.Damals herrschten egalitäreVerhältnisse. Frauen und Männertrugen gemeinsam und substanziellzum Gruppenunterhalt bei, Kinder wurden gemeinsam aufgezogen.Diese Kooperation ist das menschlicheErfolgsgeheimnis. Metaphorischgesprochen, lebten die Jäger undSammler wie Adam und Eva im GartenEden und mussten noch nicht imSchweisse ihres Angesichts Landwirtschaftbetreiben.
Mit Ihrem Buch erheben Sie den Anspruch, die Wahrheit ĂĽber Eva zu verkĂĽnden. Wo es Wahrheit gibt, muss es auch eine Unwahrheit geben. Haben Sie diese gefunden?
Nein und ja. Wir wollen keineWahrheiten verkünden und schon garnicht über Frauen. Wie Sie sagen: Unsgeht es darum, die Unwahrheiten überEva aufzudecken. Etwa die, dass Gottdie Frauen wegen Evas Missgriffzum dienenden Geschlecht gemachthabe. Oder die spätere Unwahrheit,die Frauen seien von Natur aus dasschwache Geschlecht.
Wie sieht denn Ihre «Wahrheit über Eva» aus?
Weder Gott noch Biologie tragenSchuld an der Unterdrückung derFrau. Die soziale Ungleichheit vonMann und Frau ist Menschenwerk,also eine kulturelle Erfindung, einenicht einmal allzu alte. Die gute Nachricht:Kultur ist veränderlich.
Jetzt mĂĽssen Sie uns sagen, wie eszur UnterdrĂĽckung kam. Die Ungleichheit begann also mit der Vertreibung aus dem Paradies?
Ja, so kann man es sagen. Die Erfindungvon Ackerbau und Viehzuchtvor mehr als 10 000 Jahren war so etwaswie der menschliche Sündenfall:Die neue Lebensweise brachte nichtnur neue Probleme wie Krieg, Katastrophenund Seuchen. Es war der ersteSchritt zur Schlechterstellung derFrauen. Die Bevölkerung wuchs, damitauch die Konkurrenz ums Land.Männer fingen an Clans zu bilden, umHab und Gut zu verteidigen. In derFolge blieben die Söhne bei der Familie,mussten aber zur Vermeidung vonInzucht ihre Frauen anderswoher holen.So verloren Frauen die Unterstützungdurch ihre alten Familien undFreunde. Auch brachten die vielen Geburtenund die Schufterei sie gesundheitlichin die Defensive.
Die physische Ăśberlegenheit setzte sich also durch?
Nein, physische Stärke war nichtentscheidend. Ansonsten hätten Männerschon immer dominiert. Auchbei Affen kennen wir genügend Beispiele,wo sich Weibchen dauerhaftgegen stärkere Männchen durchsetzen.Etwa, indem sie Allianzen bilden.Wir haben es hier mit einem allmählichenProzess zu tun. Der nächsteSchritt kam mit der Etablierung vonPrivatbesitz. In ertragreichen Regionen,wie Mesopotamien, entstandReichtum. Um ihren Besitz an die eigenenSöhne weiterzugeben, versuchtenreiche Männer alles, um ihre Vaterschaftsicherzustellen und dieweibliche Sexualität unter Kontrollezu bringen. Auch nahmen sie sichmehrere Frauen. Deren Rechte wurdeneingeschränkt. Wo es die Schriftgab, wurden die neuen Machtverhältnissein Gesetze gegossen. Damit entstanddas, was wir heute Patriarchatnennen.
Waren nicht auch Männer Opfer dieser männlichen Dominanz?
Absolut. Wo wenige reich werden,gibt es viele Arme. Viele von denenhatten nie die Chance, eine Frau zufinden. Oft erschien ihnen Gewalt alseinzige Chance. Ein Teufelskreis ausKrieg und Ausbeutung war die Folge.
Jetzt kommt die Religion ins Spiel?
In den frühen Staaten inszenierensich Herrscher als Günstlinge derGötter, um ihre Herrschaft zu untermauern.Es entsteht eine männerdominierteHerrschaftsreligion. Danebenbleibt aber die Alltagsreligionbestehen, in der es um die alltäglichenProbleme des Lebens geht. Im Monotheismusändert sich das: Wo es nureinen Gott gibt, müssen alle anderenGötter und Geister verschwinden.Hier fängt die religiöse Enteignungder Menschen an, welche die Frauenbesonders betraf. Uralte Formen derMagie, Zauberei, Spiritualität sindfortan tabu. Jahwe, der Gott in der hebräischenBibel, entstammt auch demBereich der Herrschaftsreligion. Erwar Staatsgott der Könige in Juda undin Israel. Aber schon im Alten Testamentwird er immer mehr Aufgabender Alltagsreligion übernehmen.
Ausgerechnet der eifersüchtige Gott des Alten Testaments. Die ideale Projektionsfläche des Patriarchats?
Wie gesagt: Das Patriarchat istviel älter als die Bibel. Neu ist aber,dass die Männerherrschaft im Monotheismusden göttlichen Segen erhält.Wo es nur einen Gott gibt, der die Welterschaffen hat, muss dieser alles verantworten.Kann er einer solchen Ungerechtigkeitschuld sein, dass Frauenschlechter als Männer gestellt sind?Nein, die Bibelautoren hatten da einesehr männliche Lösung parat: Sieschoben einer Frau die Schuld an derUnterdrückung der Frauen in dieSchuhe – Eva.
Später spielten Frauen in der Entourage von Jesus jedoch wichtige Rollen.
Ja, die Wirklichkeit im alten Israelsah anders aus. Sowohl die Jesus-Bewegungwie das frühe Christentumwären ohne engagierte Frauen nie erfolgreichgewesen. Fatal war, dass dasChristentum erst in einer sehr frauenfeindlichenKultur, der griechisch-römischen,heranwuchs. Für die griechischenPhilosophen waren Frauennur mangelhafte Männer. Nicht zuletzt,weil solche Ideen mit dem frühenChristentum verschmolzen, entwickeltesich die Kirche zu einerfrauenfeindlichen Institution.
Wie konnte sich diese Haltung so lange halten?
Das Christentum wechselte dieSeite. Als es in Rom Staatsreligionwurde, war es von den Schwachen indie Hände der Macht geraten. Die Kirchenvätermachten jetzt Eva nicht nurfür die Unterdrückung der Frauenverantwortlich: Als Werkzeug desTeufels habe sie Adam verführt unddem Bösen den Weg in die Welt geebnet.Deshalb brauchte es die starkeHand des Staates, der Kirche und derMänner, um die Frauen unter Kontrollezu halten.
Was können Kirchen und Menschen tun, damit die Unterdrückung der Frau – auch im Namen der Religion – ein Ende hat?
Es ist nicht an uns, Ratschläge zuerteilen. Viele Frauen – aber auchMänner – leisten da schon lange hervorragendeArbeit. Wir möchten nurhelfen, auch noch die letzten Unwahrheitenüber Eva aus der Welt zu schaffenund folgende Botschaft vermitteln:Steinzeitmachos, die ihre Frauenan den Haaren in die Höhle schleppten,gab es nie. Im Gegenteil: StarkeFrauen und die Solidarität der Geschlechterhaben uns als Menschenerst erfolgreich gemacht.
Interview: Philippe Welti
«Die Bibel schob Eva die Schuld zu»