News aus dem Kanton St. Gallen

Der Witz vom Reich Gottes

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22.04.2020
Jesus spricht vom Reich Gottes in Bildern, die viele verstehen. Aber nicht alle auf die gleiche Weise. Wie bei einem Witz die Pointe das Lachen entlockt, so weckt sie in Gleichnissen den. Glauben.

Müsste ich ein Wort nennen, das am besten zeigt, wie Jesus von Gott gesprochen hat, könnte dies nur das Reich Gottes sein. Und müsste ich sagen, wie Jesus von diesem Reich Gottes gesprochen hat, dann würde ich sagen: in Gleichnissen.

Das Gottesreich ist nicht nur eine religiöse Idee. Denn als Menschen fragen wir nach dem wahren Leben. Wir hoffen auf eine gute Welt für alle. Das ist mit dem Gottesreich gemeint. Woher kommt diese menschliche Sehnsucht? Manche sagen, die Sehnsucht entstehe, weil das wirkliche Leben stets unvollendet, ja mangelhaft sei. Aber vielleicht gibt es die Sehnsucht nach dem wahren Leben, weil unser Leben vielversprechende Fragmente davon enthält, die uns hoffen lassen. Bei Jesus begegnet diese Hoffnung in besonderer Intensität: Das Reich Gottes war das Zentrum seines Denkens und Handelns.

Bilder belehren nicht, sie bewegen

Jesus entwickelte keine Theorie des Gottesreiches, sondern sprach in Bildern und Gleichnissen davon. Ihm ging es nicht um ein zukĂĽnftiges und jenseitiges wahres Leben, sondern darum, dass das Wahre Einfluss auf das Jetzt gewinnt. Darum hat er in Bildern und Gleichnissen gesprochen.

Das Gleichnis ist kein Abbild der Wirklichkeit. Keiner, der aussät, kann so sorglos damit verfahren. Er muss im Schweisse seines Angesichts das Land bebauen.

Von Bildern geht eine bewegende Kraft aus. Bildhaft redet man nicht, um Menschen über etwas zu belehren, sondern um sie zu etwas zu bewegen. Das Gottesreich ist wie die Geschichte von einem, der sät, erzählt Jesus in Mk 4,26-29. Der Sämann sät – und tut weiter nichts. Er überlässt die Saat der Erde. Denn von selbst bringt die Erde Frucht hervor; er braucht nur noch zu ernten. Was da erzählt wird, ist kein blosses Abbild der Wirklichkeit: Keiner, der aussät, kann sorglos damit verfahren. Er muss vielmehr zu seiner Saat sehen, muss im Schweisse seines Angesichts das Land bebauen, muss Schädlinge bekämpfen und sich vor jedem Unwetter fürchten, das seine Saat vernichtet. All dies wird im Gleichnis ausgeblendet, damit wir das Entscheidende sehen: das Wunder, dass der Aussaat eine Ernte folgt. Das Bild will die Menschen dazu bewegen, im Wachstum ein Stück Schöpfung zu sehen inmitten der Welt. Das Gleichnis richtet unsere Aufmerksamkeit auf dieses Wunder. Im Wachstum blitzt Kreatives auf, das auf Vollendung hoffen lässt. So verankert das Gleichnis die Hoffnung auf das Reich Gottes in unserer Erfahrung. 

Gottesreich blitzt in Pointe auf

Ein Gleichnis wirkt ähnlich wie ein Witz. Aufmerksam höre ich ihm zu, gespannt warte ich auf die Pointe – und siehe da, er bringt mich zum Lachen. Ich bin es, der lacht, aber der Witz wirkt, indem er mir das Lachen entlockt. Der Witz erzeugt in mir eine Reaktion, die zwar meine Tat ist, aber zugleich das Werk des Witzes bleibt. Ähnlich ist es mit den Gleichnissen Jesu. Sie laufen auf eine Pointe zu und erzeugen eine Reaktion.

Das Gleichnis appelliert an die Urteilskraft des Hörers.

Sie arbeiten an den Zuhörenden. Wenn ein Gleichnis die Pointe erreicht, dann beeinflusst das Gottesreich die Angeredeten – für einen Augenblick wenigstens. Das Gleichnis stattet uns mit neuen Augen aus. Durch sie erblicken wir in unserer mangelhaften Welt ein Stück Gottesreich. Das Gleichnis entlockt mir – für einen lichten Augenblick – den Glauben an Gott – ein Glaube, der ganz mein Tun ist, aber dennoch nicht mein Werk.

Ein widerstehliches Wort

Wenn Jesus in Gleichnissen spricht, will er uns nicht einfach vor eine Wahl zwischen Gut und Böse stellen. Zwar will er die Angeredeten unverkennbar auf eine Seite ziehen. Er will sie für das Wahre gewinnen, ohne ihnen etwas aufzuschwatzen. Das Gleichnis appelliert an die Urteilskraft des Hörers. Es stellt ihm Fragen, rhetorische Fragen. So in Lk 15,3-7: «Wer unter euch, der hundert Schafe hat und eins davon verliert, geht nicht dem einen nach, bis er es findet?» Dieses Gleichnis zielt auf eine ganz bestimmte Reaktion: Jeder würde so handeln! Aber zugleich macht das Gleichnis nicht den geringsten Versuch, zu dieser Reaktion zu verführen. Das Gleichnis ist ein ausgesprochen widerstehliches Wort: Es zwingt nicht, es verführt nicht, es geleitet bloss zu einer Antwort. Manche denken, Unwiderstehlichkeit sei ein Beweis für Wahrheit. Jesus erinnert daran, dass gerade das widerstehliche Wort etwas von der Wahrheit des Gottesreiches zeigt. Es zwingt uns nichts auf, es lädt uns ein, ungezwungen am Tisch des Herrn Platz zu nehmen. Nicht durch Gewalt, sondern durch das Wort – das war ein wichtiger Grundsatz der Reformation. In gewaltsamer Sprache stirbt die Wahrheit. Zu überzeugen, statt zu überschwatzen, ist das Ziel der Gleichnisse Jesu.

Hilflose Einladung zum Fest

Wenn Jesus in Gleichnissen spricht, will er den Menschen nicht einen bestimmten Gedanken in den Kopf setzen. Es geht nicht da
rum, dass jeder Einzelne genau dasselbe denkt. Vielmehr versammelt Jesus die Angeredeten um ein Bild. Verschieden wie sie sind, finden sie ihren eigenen Zugang zum Bild. So beim Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es spricht auf der einen Seite Menschen an, die vor dem Nichts stehen, wie der jüngere Sohn. Sie kommen sich so verloren vor, dass sie an eine Heimkehr ins Elternhaus gar nicht mehr denken können. Der Jüngere hat seine Verbindung zum Vater so sehr verloren, dass er nicht mehr als Sohn, sondern als Knecht zurückkehren will. Doch die Umarmung des Vaters macht alles anders: Kein Knecht ist er, sondern der Sohn, der lange erwartet wurde.

Ich bin es, der lacht, doch der Witz wirkt, indem er mir das Lachen entlockt.

Auf der anderen Seite spricht Jesus Menschen an, die sich stets bemüht hatten, gerecht und gut zu sein. Wie der ältere Sohn finden sie es ungerecht, dass der jüngere mit offenen Armen empfangen wird. Man kann den älteren gut verstehen. Ihm sagt der Vater: Jetzt ist keine Zeit zum Aufrechnen, jetzt ist es Zeit zum Feiern. Eine fast hilflose Einladung zum Fest. So versammelt das Gleichnis unterschiedliche Menschen um ein Bild: Die einen ermutigt es, zu Gott umzukehren. Die andern lädt es ein, mit Aufrechnen aufzuhören und andere umkehren zu lassen.

Traum der getrockneten Tränen

Die Hoffnung auf das Gottesreich ist ein menschlicher Traum vom wahren Leben. Ist der Traum von den getrockneten Tränen nur die Gegenwelt zur Welt der Tränen? Oder lebt er von der Erfahrung, dass manche Tränen schon jetzt abgewischt werden? Ist der Traum vom Reich der Vergebung nur die Gegenwelt zur Unversöhnlichkeit? Oder entsteht er, weil wir Fragmente der Vergebung dann und wann selbst erleben? Wie dem auch sei: Jesus redet in Gleichnissen, damit wir erkennen, dass das jetzige Fragment der Vergebung zum gossen Reich Gottes gehört, in dem Vergebung alles bestimmen wird.

Text: Hans Weder | Bilder: Daniel Lienhard, Illustrator / Alain Auderset, Comiczeichner / zVg – Kirchenbote SG, Mai 2020

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