News aus dem Kanton St. Gallen

Den frierenden Frieden vertonen

von Stefan Degen
min
19.11.2024
Der Sing-mit-Gottesdienst im Toggenburg lebt von der Beteiligung der Gemeinde. Mit eigens dafür komponierten Liedern brachte sie die Hoffnung auf Frieden zum Ausdruck. Und gelangten dabei gar zu einer Erkenntnis.

«Mensch, Mensch, Mensch», singen die rund 30 Sängerinnen und Sänger zu einer groovigen Gospelmelodie, «du hast Verstand, dann brauche ihn», und doppeln gleich nach: «Mensch, Mensch, Mensch, du hast Augen, sehe hin.» Wozu der Verstand zu gebrauchen ist und was mit den Augen zu sehen ist, erfahren die Zuhörenden erst ganz am Schluss des Liedes: «Drum lass, o Mensch, Mensch, Mensch, die anderen in Frieden.»


Zu 100 Prozent selbst gemacht

Es ist ein Sing-mit-Gottesdienst, mitten im November in Bütschwil im Toggenburg. Die Musik an diesem Gottesdienst ist zu 100 Prozent selbst gemacht: Komponiert hat die Lieder der Kirchenmusiker Roman Bislin-Wild, seine Frau Esther Wild Bislin leitet den Projektchor, die Liedtexte stammen aus der Feder von (Kirchenbote-Redaktorin) Katharina Meier aus Lütisburg. Es sind viele Hände, Kehlen und Ohren, die an diesem Gottesdienst
gemeinsam ein Stück Frieden erschaffen.

Der Sing-mit-Chor sei seit 20 Jahren eine feste Grösse, sagt Pfarrerin Katharina Leser, die durch den Gottesdienst führt. Von den rund 100 Interessierten, die jeweils angefragt werden, machen diejenigen mit, die Zeit und Lust haben. Es ist eine ungezwungene Form der Beteiligung, die nebenbei auch die konfessionellen Grenzen sprengt: Obschon der Chor von der Reformierten Kirchgemeinde Unteres Toggenburg getragen wird, machen viele katholische Sängerinnen und Sänger mit. «Sonst wäre das ein Minichor», stellt Leser fest.

Das kleine Intervall, das fröstelt

Die Liedtexte werden jeweils von Menschen im Umfeld der Gemeinde verfasst, die ein Flair für Sprache haben. Komponist Roman Bislin verwandelt dann die Worte in Musik. Wie geht er dabei vor? «Bei mir läuft vieles intuitiv ab», verrät er. «Ich setze mich ans Klavier und experimentiere mit Klängen, die zu der Stimmung des Textes passen.» Dass «der Frieden friert» (siehe Kasten unten), habe ihn zum Beispiel gepackt. Er habe sich gefragt: «Wie vertone ich diese Kälte, dieses Frieren des Friedens? Wie klingt das?» So habe er begonnen, mit kleinen Intervallen zu arbeiten, mit einem Halbton oder einem Ganzton: «Das erzeugt ein Gefühl von klirrender Kälte, von Frieren und Zittern.»


Die Hoffnung niemals aufgeben

Auf das Thema Frieden kam Roman Bislin durch Friedensgebete, an denen er seit Beginn des Krieges in der Ukraine teilnahm. Pfarrerin Leser nahm den Ball dankbar auf: «Wenn der Sing-mit-Chor kommt, bringt er gleich den Predigtext mit.» Das Thema Frieden sei aktuell und bewege die Menschen. «In der Ukraine etwa, im Nahen Osten und im Sudan herrschen Leid und Verzweiflung.» Nirgends sei Frieden in Sicht. «Und obschon der Friede fröstelt, wie es im Lied heisst, ist da die Hoffnung: Gib niemals auf, sagt sie.»

Der Frieden friert

Der Frieden friert, es fröstelt ihn.
Er sieht das Leid, er ahnt den Schmerz.
Er spürt die Angst, gewahrt die Pein.
Doch niemand sieht sein krankes Herz. 

Der Frieden friert, es fröstelt ihn.
Gewalt, das Blut, die grosse Wunde.
Er schreit: Hört endlich auf damit.
Doch erstickt die Stimm’ innert Sekunde. 

Der Frieden friert, es fröstelt ihn.
Sein Name steht nur auf Papier.
Der Sinn darin, nur leere Worte?
Wer nur begreift sein Elixier?

Die grossen Worte dieser Welt
sie heissen Güte und Vertrauen.

Der Frieden friert, es fröstelt ihn.
Und doch ist da die Hoffnung.
Sie spricht ihm zu: Gib niemals auf.
Es kommt alsbald Genesung.

Die grossen Worte dieser Welt
sie heissen Güte und Vertrauen.

(meka)

Novembernebel

Noch eben schraubten bunte Drachen hoch sich in den Himmel
Über der Wiese Kinderlachen, lautes Schreien, Gewimmel
Doch allmählich reicht der Tag der Dämmerung die Hand
Zieht sie hinab ans Riet, über die Berge und das Land.

Und wie aus Schlunden und Spalten
kriecht der Nebel hervor

Und legt sich wie eine weiche Schleierdecke über das Moor.
Nur noch hoch oben zieht ein Bussard einsam seine Kreise.
Es hebt das grosse Schweigen an, Ruh ist da, leis, ganz leise.

(meka)

Mensch, Mensch, Mensch

Mensch, Mensch, Mensch, Du hast Verstand, dann brauche ihn
Mensch, Mensch, Mensch, Du hast Augen, sehe hin
Mensch, Mensch, Mensch, Du hast Ohren, horche auf
Mensch, Mensch, Mensch, Du hast Sinne, zähl darauf.

Du bist ein Sandkorn in der Wüste
Du bist ein Stern am Firmament
Du bist ein Tropfen in dem Fluss
Du bist nur einer unter vielen.

Du bist selten besser als Du scheinst
Du bist ein Gast, der auf der Erde weilt
Du bist ein Fremdling hier hienieden
Drum lass die andern im Frieden.

(meka)

E Guets git wieder e Guets

Erwarte nüt, verlang no weniger
Gib eifach, was du hesch.
Es Lächle, en liebe Händedruck
En Gfalle tue, wo’ s goht.

Los zue, und hilf wenns mögli isch
Büüt Hand, pack eifach aa
Berechne söttsch du all das nöd
De Buuuch und s Härz entscheidet.

Es isch nöd immer s Geld, wo zellt
Die Währig isch en anderi
Es isch d’Freud, wo du veschenksch
Das isch de würklich Wert.

Refrain
Und plötzli chunnt all das denn zrugg
Vo hine, une, obe,
Denn e Guets git immer wieder e Guets
Es isch ganz fii vewobe.

(meka)

 

 

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