Das Sofa kann nicht bleiben
Ich sitze im Wohnzimmer auf einer mit einem dünn gewordenen Leintuch bedeckten alten Matratze. Vor wenigen Stunden stand hier noch ein elegantes Zweisitzer-Sofa mit noblem graugrünem Stoffbezug. Feste Sitzqualität, klassischer Look, einladende Form und Farbe. Gerade mal 4 Tage alt. Es erwies sich bald als unpraktisch. Mir wurde erst durch den Fehlkauf klar, was wir eigentlich brauchen.
Hätte ich nicht voraussehen können, dass es für unsere Bedürfnisse ungeeignet ist? Hätte ich nicht besser entscheiden können? Ich musste einen Umweg gehen. Das Sofa zurückbringen, ein neues bestellen, wieder warten. Doch meine persönliche Bedürfnis-Landkarte hat sich erweitert. Ich habe eine Erkenntnis gewonnen.
Ratgeberbücher mit Titeln wie «Wie Sie Fehlentscheidungen vermeiden» waren mir immer schon suspekt. Nein, ich bin ganz einverstanden mit Kurt Tucholsky. Ich kann bestätigen, dass mir oft erst auf einem guten Stück Seitenstrasse eine wichtige Einsicht geschenkt wurde. Zugegeben, der Sofa-Umtausch-Umweg ist ein eher bescheidenes Beispiel, um darzustellen, was Lebensumwege mit uns anstellen können. Er kostete mich nur etwas Nerven und Zeit. Wieviel anspruchsvoller sind Fehlentscheidungen, die uns an den Rand unserer Kräfte bringen; uns in einen Abgrund schauen lassen. Fehlkäufe im Leben können äusserst schmerzvoll sein. Ich kenne auch diese.
Auf dem weitläufigen Markt der Möglichkeiten, Meinungen und Angebote kaufen wir dem Leben, anderen oder uns selbst, immer mal wieder etwas ab, was sich als ungeeignet oder sinnwidrig herausstellt. Die Art und Weise, wie wir die Fehlentscheidung bewerten und uns zu ihr verhalten, ist entscheidend.
Nicht alles, was sich als falsch erwiesen hat, war auch ein Fehler. Fehlentscheidungen führen zu Umwegen und Umwege statten uns mit neuen Erkenntnissen aus. Fehl-Entscheidungen haben grosses Potential, denn sie machen auf das Fehlende aufmerksam, das Defizitäre. Das, was ich übersehen habe, weil es mir selbst noch nicht bewusst war. Ein Bedürfnis zum Beispiel. Oder einen Wert. Das innere Land erweitert sich.
Kürzlich stiess ich auf den Mitschnitt eines eindrücklichen Vortrages der Gehirn-Trainerin Vera F. Birkenbihl. Sie meint: «Wir haben ein Anti-Fehler-Programm laufen: Man hat keine Fehler zu machen! Wir wollen Erfolge und Leistungen. Doch ich sage Ihnen: Ein Leben ohne Fehler, Pannen oder Misserfolge ist wie Tage ohne Nächte, wie Berge ohne Täler.» Der Gesundheitspsychologe und Fehlerforscher Prof. Olaf Morgenroth ergänzt: «Ohne Fehler, ohne Scheitern, sind Lernprozesse nicht möglich.» Und ohne Lernprozesse? Nun ja, vermutlich schlicht kein Menschsein.
Mir fällt 1. Korinther 13,12 ein, wo es heisst: «Noch erkenne ich stückweise, noch ist mein Wissen Stückwerk». Wir sind in Entwicklung begriffen. Ein Anti-Fehler-Programm hat uns der Schöpfer jedenfalls nicht eingebaut. Umwege sind ok. Bleiben Sie freundlich mit sich! Gott ist es mit Ihnen auch.
Und noch etwas. Wie man weiss (nicht zuletzt durch die Palliativpflegerin Bronnie Ware und ihr Buch «5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen»): Rückblickend bereuen Menschen nicht die Fehler, das Scheitern oder die Umwege ihres Lebens, sondern das Versäumnis, es nicht versucht zu haben.
Natasha Hausammann
Natasha Hausammann ist freischaffende Sängerin, Kirchenmusikerin und administrative Mitarbeiterin der Evang.-ref. Kirche des Kantons St Gallen. Sie ist zudem in Ausbildung zur logotherapeutischen Beraterin (sinnzentrierte Psychotherapie) am Institut für Logotherapie & Existenzanalyse in Chur.
Das Sofa kann nicht bleiben