Das Herz brennt für Kirchenglocken
Mit acht Jahren ging Fabian Thürlimann mit seiner Grossmutter in die Kirche, um dem Samstagsläuten zu lauschen. Er war so begeistert, dass er den Mesmer fragte, ob er die Glocken einschalten dürfe. «Da müsstest du vor drei Uhr hier sein», antwortete dieser. Das liess sich der Dreikäsehoch nicht zweimal sagen. Eine Woche später stand er pünktlich bereit. «Der Mesmer zeigte mir, welche Knöpfe ich drücken musste», erinnert sich Thürlimann, «stellte mir einen Stuhl hin, damit ich zu ihnen raufkam, und sagte mir: Um drei Uhr beginnst du.» Dann ging der Mesmer weg und überliess dem Achtjährigen das Feld.
Aufnahmen von 1400 Geläuten
Fortan verbrachte Thürlimann seine Samstagnachmittage im Turm bei den Glocken. Nach zwei Jahren hatte er in den Ferien die Idee: Es gibt ja noch andere Kirchen mit anderen Glocken! So rief der Zehnjährige Mesmerinnen und Mesmer an und pilgerte mit seinem Grossvater Woche für Woche zu einer anderen Kirche. Der Grossvater ging spazieren, der Enkel nahm mit Radio und Kassette das Geläut auf. Später stieg er auf Mini-Disc um, heute arbeitet er mit einem digitalen Aufnahmegerät. Mittlerweile umfasst die imposante Sammlung Aufnahmen von über 1400 Glockengeläuten – von vielen hat Thürlimann gar mehrere Versionen, da sich der Klang nach Glockenrevisionen verändert hatte.
Heute ist Fabian Thürlimann 41 Jahre alt, hat Geografie und Geschichte studiert und arbeitet bei den SBB als Lokführer. Als Synodaler vertritt er die Kirchgemeinde Wil im Parlament der St. Galler Kirche. Die Faszination für Glocken hat aber nie nachgelassen. Wie hat er sich sein Wissen angeeignet? «Durch Bücher», sagt er. Viel Fachliteratur gebe es zwar nicht. «Glocken in Geschichte und Gegenwart» aber war beispielsweise sein erstes Glockenbuch. Noch wichtiger als Bücher sei aber der Austausch: Thürlimann ist aktiv in der «Gilde der Carillonneure und Campanologen der Schweiz», wie der Verein der Schweizer Glockenliebhaberinnen und -liebhaber heisst. Und sofern es sein Zeitplan zulässt, fährt er zum jährlichen internationalen Glockenkolloqium nach Deutschland.
Bei Offerten genau hinschauen
Manchmal berät Thürlimann Kirchgemeinden bei Glockensanierungen. In Kirchberg etwa, beim Kirchgemeindehaus Bazenheid (siehe Seite 7) oder aktuell im Zürcher Fraumünster. Aktiv suche er die Mandate aber nicht. Trotzdem rät er Kirchgemeinden, bei Glockensanierungen auch einen unabhängigen Sachverständigen beizuziehen. «Wenn die Glockenfirma etwas offeriert, hat kaum eine Kirchgemeinde den Background, um zu beurteilen, ob das überhaupt nötig ist und wirklich zu einer Verbesserung führt.» Glockensanierungen seien sehr teuer, kosteten schnell einmal mehrere Zehntausend Franken. «Da lohnt es sich, genau hinzuschauen. Das geschieht bei jedem Orgelprojekt auch.» Manchmal sei schlicht gar keine Massnahme nötig. Oder es genüge, den Klöppel zu kürzen, was vergleichsweise günstig sei.
Kleinere Klöppel klirren nicht
Überhaupt habe sich bei der Klöppelkonstruktion in den letzten zehn, zwölf Jahren viel getan. Man habe die Form verändert und das Gewicht reduziert. «Dadurch wird der Klang besser», erklärt Thürlimann. Es gebe weniger Obertönigkeit, weniger Klirren. «Wenn ich nach einer Sanierung Aufnahmen mache und vergleiche, tönt das oft wie ein neues Geläut.» Zu klein dürfe der Klöppel aber auch nicht sein. «Sonst klingt die Glocke auch wieder nicht gut und und es kommt mitunter nicht zum Anschlag. Dann muss man den Läutewinkel relativ hoch einstellen.» Bei kleineren Glocken sei das aber kein Problem, im Gegenteil sogar vorteilhaft.
Hat der Glockenliebhaber Thürlimann eine Lieblingsglocke? «Die Glocke der Notre Dame in Paris gefällt mir schon sehr gut», schwärmt er. «Sie hat einen fülligen, warmen Klang.» Seit dem Brand vor dreieinhalb Jahren ist sie allerdings nicht mehr in Betrieb. Aber auch die Glocken seiner Heimatstadt Wil haben es ihm angetan. «Alle drei Kirchen haben ein wunderbares Geläut aus je sieben Glocken.»
Text: Stefan Degen | Foto: zVg – Kirchenbote SG, Dezember 2022
Das Herz brennt für Kirchenglocken