News aus dem Kanton St. Gallen
Fastenzeit

Darf’s ein bisschen weniger sein?

von Tilmann Zuber
min
24.01.2024
Anlässlich der Sammelkampagne zur Fastenzeit rufen die kirchlichen Hilfswerke dazu auf, das Konsumverhalten zu überdenken. «Weniger ist mehr», lautet der Slogan, der auf Lebensqualität setzt und für Klimagerechtigkeit appelliert.

Die Nagelprobe zuerst: Frau Fassbender, haben Sie Ihr Leben schon umgestellt? Elke Fassbender ist Kampagnenleiterin beim Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Heks. Sie ist mitverantwortlich, dass die Hilfswerke mit dem Slogan «Weniger ist mehr – jeder Beitrag zählt» an die Öffentlichkeit gehen. Zu lesen auf grossformatigen Plakaten, die einen gehetzten Kunden mit einem überladenen Einkaufswagen zeigen, während eine Afrikanerin ihre Schubkarre mit Gemüse vor sich herschiebt. Ziel der Kampagne sei es, sagt Fassbender, die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, dass weniger Konsum mehr Lebensqualität bedeuten könne.

Verzicht und Solidarität

Zur christlichen Fastenzeit gehört es traditionell, den Gürtel enger zu schnallen, Verzicht zu üben und solidarisch zu sein. Seit vier Jahren thematisiert die ökumenische Kampagne die «Klimagerechtigkeit». Heks, Fastenaktion und «Partner sein» rufen dazu auf, mit «allen zur Verfügung stehenden Mitteln den CO2-Ausstoss massgeblich zu verringern». Heks ist überzeugt: «Jeder Beitrag zählt.» Was in der Fastenzeit gelebt und erlebt werde, sei auch die zentrale Botschaft für Klimagerechtigkeit: weniger Konsum, weniger Energieverbrauch, weniger Foodwaste – weniger CO2-Ausstoss.

Jeder Zehntelgrad mehr hätte fatale Folgen für das Klima und das Leben auf dem Planeten.

 Die Hilfswerke unterstützen die Ziele des Pariser Abkommens, die Klimaerwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad einzudämmen. «Jeder Zehntelgrad mehr hätte fatale Folgen für das Klima und das Leben auf dem Planeten», sagt Lorenz Kummer, Medienverantwortlicher bei Heks. Leidtragende sind vor allem die Menschen in den Entwicklungsländern.

«Es ist nicht klimagerecht, dass wir hier durch unser Konsumverhalten so stark zur Klimaerwärmung beitragen», sagt Elke Fassbender, «während die Menschen im globalen Süden durch die zunehmende Hitze, Dürreperioden, Stürme oder den Anstieg des Meeresspiegels ihre Lebensgrundlagen verlieren.» Besonders stossend sei, dass die Menschen im Süden nur wenig zur Klimaerwärmung beitragen, ihnen aber andererseits die finanziellen Mittel fehlen, um sich gegen die Folgen der Erderwärmung zu wehren.

Hand- und Fussabdruck

Seit Jahren rechnen die Wissenschaft, NGOs und die Politik den Konsumenten mit dem ökologischen Fussabdruck vor, wie viel CO2 sie produzieren, sei es, wenn sie zum Christmas-Shopping nach London fliegen, baden statt duschen oder ohne Deckel kochen. Natürlich sei der ökologische Fussabdruck wichtig, um sich seinen Verbrauch bewusst zu machen, sagt Elke Fassbender. Aber das ständige Vorrechnen der CO2-Bilanz gebe einem das Gefühl des Versagens und der Ohnmacht.

Je weniger ich gestresst bin, in der Gegend herumhetze, je weniger ich konsumiere, desto mehr Zeit habe ich.

 Heks setzte deshalb neu auf den Handabdruck. Das Modell stellt das positive Verhalten ins Zentrum und zeigt, welche Aktionen und Projekte einen Mehrwert für die Umwelt und das eigene Leben bringen. Und wie man eine Gemeinschaft nachhaltig positiv verändern kann. Konkret könnte man Freunde zum vegetarischen Essen einladen oder gemeinsam kochen, ein Reparaturcafé gründen, Kleidertauschpartys feiern oder als Hausgemeinschaft die Fassade begrünen oder sich für eine neue Wärmepumpenheizung oder Solarzellen auf dem Dach einsetzen. So wird aus weniger mehr. «Damit die Aktionen erfolgreich sind, spielt die Vernetzung mit anderen eine wichtige Rolle», sagt Fassbender.

 

Jeder Gegenstand und jede Dienstleistung hinterlässt einen ökologischen Fussabdruck, hier dargestellt in Kilogramm CO₂-Äquivalente. CO₂-Äquivalente sind eine Masseinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase. | Heks

Jeder Gegenstand und jede Dienstleistung hinterlässt einen ökologischen Fussabdruck, hier dargestellt in Kilogramm CO₂-Äquivalente. CO₂-Äquivalente sind eine Masseinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase. | Heks

 

Kein Verzicht um des Verzichts willen

Für Elke Fassbender hat die Fastenzeit auch eine positive Seite: «Je weniger ich gestresst bin, in der Gegend herumhetze, je weniger ich konsumiere, desto mehr Zeit habe ich, aufzutanken, innezuhalten, achtsam zu werden, sich Zeit für andere zu nehmen, zu geniessen, den Augenblick zu erleben und sich von ihm beschenken zu lassen.» Weniger ist mehr bedeute nicht Verzichten um des Verzichts willen, sondern ein gutes Verzichten auf Dinge, die mir eigentlich nicht guttun und mir den Weg zu mehr Lebensqualität verstellen.

Mehr Lebensqualität

Zurück zur Nagelprobe: Haben Sie Ihren Lebenswandel umgestellt? Elke Fassbender überlegt: Ja, sie kaufe grundsätzlich nur gebrauchte Handys und keine Kleidung, die sie eigentlich nicht brauche. Ein neues Stück komme nur noch in den Schrank, wenn ein altes ausgemustert werde. Heute fährt Fassbender mit dem Velo durch Bern, ins Büro nach Zürich reist sie mit dem Zug. Ihr Auto nutzt Sie nur noch im Notfall, auch wenn es schwer fällt: «Es kostet Überwindung, bei Kälte und Regen aufs Fahrrad zu steigen», gibt sie zu.

Und, fügt Elke Fassbender hinzu, früher sei sie innerhalb Europas geflogen, heute nehme sie dazu den Zug, wie kürzlich, als sie über Silvester Freunde in Barcelona besuchte. Für die Heks-Mitarbeiterin bedeutet der Zug ein Stück Lebensqualität. Die Reise wurde zum Erlebnis. Sie konnte sich mit den Mitreisenden unterhalten, Bücher lesen, einen Kaffee trinken und erlebte, wie sich die Landschaft, die an ihr vorbeizog, veränderte. «Es gab so viel zu sehen, dass ich nicht das Gefühl hatte, Zeit zu verlieren, obwohl ich zehn Stunden unterwegs war. Das zeigt: Weniger ist manchmal mehr.»

 

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