News aus dem Kanton St. Gallen

Baustelle Oberstübchen

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01.07.2019
Unübersehbar verändert die Pubertät den Körper. Hinter der Fassade gehören zum Grossumbau auf dem Weg ins Erwachsen- sein aber auch langwierige Neuinstallationen im Gehirn. Das erklärt so manchen Konflikt zwischen Jugendlichen und ihrer Umwelt.

Wenn unsere Schaltzentrale via Hormone Wachstum und Geschlechtsreife in Auftrag gibt, beginnt sie gleichzeitig mit der eigenen Umrüstung: Wenig genutzte Nervenbahnen werden gekappt, das Tempo auf den belassenen Bahnen wird erhöht, neue Verbindungen werden verdrahtet; betroffen sind diverse Hirnareale – die aber scheinbar unkoordiniert nacheinander mit dem Umbau beginnen. 

Emotion statt Vernunft regiert
Just der für Vernunft und Impulskontrolle zuständige präfrontale Cortex ist spät dran. Währenddessen übernimmt bei Informationsverarbeitungen und Entscheidungen die bereits auf Vordermann gebrachte Amygdala das Zepter. Die ist allerdings für Emotion und Bauchgefühl zuständig, sie fragt nicht nach mittel- und langfristigen Folgen. Da wirkt das spontane Treffen mit Freundinnen und Freunden ungleich lohnender als Büffeln für die spätere Karriere. Gleichzeitig stottert das interne Belohnungssystem, das unser Glücksempfinden steuert. Die Folge: Null-Bock-Stimmung. Jugendliche sind für viele gemässigte Freuden nicht mehr oder noch nicht zu begeistern – sie brauchen einen stärkeren Kick. Das macht riskante Unternehmungen wesentlich attraktiver. Und weil ja die Spassbremse im präfrontalen Cortex noch nicht funktioniert, ist jugendlicher Leichtsinn neurobiologisch ebenso erklärbar wie das teils abgrundtiefe Unverständnis zwischen Teenagern und Erwachsenen.

Erwachsen mit 30?
In dieser Phase intensiver Formbarkeit ist das Gehirn für äussere Einflüsse besonders sensibel: Stress oder Drogen hinterlassen Spuren, aber auch positive neue Erfahrungen prägen neue Verschaltungen. Erst mit 25 oder 30 sind laut Forschung die Umbauarbeiten abgeschlossen. Neurologisch betrachtet werden wir also erwachsen, nachdem wir wichtige Entscheidungen für unser Berufsleben längst treffen mussten, juristisch mündig sind und oft schon eine Familie gründeten. Es scheint sinnvoll, wenn unsere Gesellschaft die fordernde Situation auf diesen Langzeitbaustellen anerkennt und Heranwachsenden und ihren Gehirnen im rechten Mass Zeit, Raum, Halt und Struktur gibt, um zu reifen. 

  

Text: Philipp Kamm | Foto: Konfirmandenklasse Rorschach – Kirchenbote SG, Juli-August 2019

 

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