News aus dem Kanton St. Gallen

Arbeit ist ein göttlich Ding

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23.04.2019
Warum soll der Mensch arbeiten? Die Reformatoren finden neue Antworten.

«Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen» (1. Mose 3, 19): Mit diesem Urteil und der Vertreibung aus dem Paradies wird Arbeit für Adam und seine Nachkommen zur Mühsal. Auf diese Weise bildet die Genesis die uralte Menschheitserfahrung eines von viel harter Arbeit geprägten Alltags ab. Die Reformatoren sehen in der Arbeit aber nicht Fluch, sondern Berufung und Gottesdienst.

Schon vor dem Sündenfall ist der Mensch zur Arbeit bestimmt: Den Garten Eden bebauen und bewahren soll er. Der erste «Büezer» ist allerdings Gott selbst, sechs Tage arbeitet er an seiner Schöpfung. 

Auf den Spuren des Schöpfers
Das göttliche Vorbild dient Zwingli als Argument, um den Eidgenossen das Söldnerwesen und den Müssiggang auszureden: «Und ist doch die Arbeit so ein gut göttlich Ding. Es folgt der Hand des Arbeitenden Frucht und Gewächs hernach, gleichwie der Hand Gottes im Anfange der Schöpfung alle Dinge lebendig worden, so dass der Arbeiter in äusserlichen Dingen Gott gleicher ist als etwas in der Welt.» Ein sehr hohes Lob!

«Der Arbeiter ist in äusserlichen Dingen Gott gleicher als etwas in der Welt.»

Arbeit in Antike und Mittelalter
Im Übergang zur Neuzeit wandeln sich – auch durch die Reformation – die Arbeitswelt und die Einstellung zur Arbeit enorm. Zuvor genoss die körperliche Arbeit selten einen besonders guten Ruf: Viele antike Denker verachteten sie als Sklavenaufgabe, als Störung der philosophischen und politischen Höhenflüge. Mittelalterliche Theologen sahen in ihrer Beschwerlichkeit die Strafe für den Sündenfall. Sie werteten manuelle Arbeit aber auch positiv, als Weg zur Erlösung – und als gute Ablenkung von schlechten Gedanken und sündigen Gelüsten. Doch gottgefälliger war in ihren Augen das im Gebet vertiefte, weltabgewandte Leben der Eremiten und vieler Klöster.

Zur Arbeit berufen 
Ex-Mönch Luther verwirft nun die Idee, dass Ordensleute oder Priester ein Leben näher bei Gott führen als Bauern, Händler oder Handwerker: «Alle Christen sind geistlichen Standes.» Demnach sind alle von Gott berufen, auch zu ihrer Arbeit.

«Wer treu arbeitet, betet zweimal.»

Es passt, dass Luther als erster mit «Beruf» auch weltliche Tätigkeiten bezeichnet. Die Gnade Gottes hängt für den Reformator nicht vom gesellschaftlichen Ansehen einer Arbeit oder von der Leistung ab. Gläubige Menschen müssen sich nicht in ihren Werken beweisen; sie können selbstlos ihrer Bestimmung im Alltag folgen, zum Dienst am Nächsten und damit zum Dienst an Gott: «Wer treu arbeitet, betet zweimal.» Unter solchen Vorzeichen werden Fleiss und Arbeitseifer zu zentralen Tugenden im Protestantismus. 

Schuften und ruhen zu Gottes Ehre
Für Calvin dient die Schöpfung und damit auch die menschliche Existenz einzig dem Ruhm Gottes. Dieser habe «die Menschen zu dem Zweck geschaffen, dass sie sich in Arbeiten üben, und keine Opfer gefallen mehr, als wenn jeder in seiner Berufung eingespannt nutzbringend für das Beste zu leben bemüht ist.» Vergnügungen und Faulenzen sind also nicht nur Zeitverschwendung, sie schmälern Gottes Ehre. Die Reformatoren sehen sich in der Anprangerung des Müssiggangs auf einer Linie mit Paulus: «Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.» (2. Thess. 3, 10)

Manche Calvinisten und Puritaner entwickeln später eine zusätzliche Motivation für ihre strenge Arbeitsmoral: Sie erhoffen sich nämlich, an ihrem wirtschaftlichen Erfolg ablesen zu können, ob Gott sie für das Himmelreich auserwählt hat. Immerhin: Eine Atempause verbleibt bis heute selbst eifrigsten Reformierten: Alle sieben Tage ruht die Arbeit – nach Gebot und Vorbild des ersten «Büezers». 

 

Text: Philipp Kamm | Foto:  Katharina Meier  – Kirchenbote SG, Mai 2019

 

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