Die Lebensmittel-Retterin
Intakte Lebensmittel sind Annina Policante ein Graus. Wenn sie in der Mülltonne landen. Die gelernte Hauswirtschaftslehrerin setzt sich gegen Essensverschwendung ein. «Lebensmittel haben einen Wert», sagt sie. «Wenn ich sehe, dass sie einfach zerstampft werden, tut mir das weh.» Seit 17 Jahren leitet die 61-Jährige die Abgabestelle von «Tischlein deck dich» in der Offenen Kirche in St. Gallen (hier geht es zum Bericht): Freiwillige verteilen Lebensmittel an Bedürftige. Lebensmittel, die von Grossverteilern geliefert werden und noch intakt sind, sich aber nicht mehr verkaufen lassen, weil das Ablaufdatum näher rückt oder weil sich beispielsweise Weihnachtsschokolade im Februar schlecht verkauft.
Policante ist vieles: Koordinatorin von Wirkraumkirche, dem Trägerverein der Offenen Kirche, Kirchenrätin der Kantonalkirche und Vorstandsmitglied in der Schweizer Dachorganisation von «Tischlein deck dich».
Durch «Skandal» in den Vorstand
Zu letzterem Engagement kam es durch einen Skandal, der keiner war. Die Reporterin einer Gratiszeitung stand vor der Tür und bombardierte Policante mit Vorwürfen. Ihr sei zu Ohren gekommen, sagte die Journalistin, dass Leute Essen bezögen, die dazu nicht berechtigt seien. Manche Bezüger würden gar mit dem Taxi chauffiert, zudem stünden auf dem Parkplatz jeweils «dicke Karossen». Policante konnte die Sache rasch klären: Der Bruder eines Bezügers war Taxifahrer und setzte ihn gelegentlich auf dem Vorbeiweg ab. Und die «dicke Karosse» – es handelte sich um einen Fiat Multipla – war Policantes eigenes Auto. Die vermeintliche Skandalstory erschien nie. Allerdings wurde durch den Wirbel der damalige Geschäftsleiter von Tischlein deck dich Schweiz auf Policante aufmerksam und fragte sie an, ob sie im Vorstand mitwirken wolle.
Kirchen engagieren sich stark
Tischlein deck dich ist politisch und konfessionell neutral. «Schaut man aber genau hin», gibt Annina Policante zu bedenken, «so sind es oft lokale Kirchgemeinden, die die einzelnen Abgabenstellen führen, Räume zur Verfügung stellen und Freiwillige rekrutieren.» Das sei ein grosses Engagement, auch von katholischer und freikirchlicher Seite.
Manchmal komme es vor, erzählt Policante, dass die Bezüger der Lebensmittel fordernd, ja unverschämt seien. «Das ist aber extrem selten», stellt sie fest. «Ich erkläre ihnen dann jeweils, dass wir das alle freiwillig machen.» Die allermeisten Bezüger seien aber freundlich und aufgestellt. Gerade heute seien zwei Ukrainerinnen da gewesen, eine Tochter mit ihrer Mutter. Die Tochter, die besser Deutsch könne, habe sie auf die Seite genommen. «Wir sind so dankbar, dass Sie das machen», habe sie leise gesagt. «Da kommen mir dann fast die Tränen.»
Die Lebensmittel-Retterin