400-jähriger Abendmahlstreit beigelegt
Die Ökumene zwischen den Katholiken und den Reformierten in der Schweiz scheitert beim Abendmahl. Die theologischen Standpunkte scheinen unvereinbar. Dass auch Reformierte, Lutheraner und andere evangelische Christen erst seit 50 Jahren gemeinsam das Abendmahl feiern, ist weniger bekannt. 1973 verpflichteten sich die evangelischen Kirchen Europas auf dem Leuenberg bei Basel zu gegenseitiger Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Sie einigten sich auf die Leuenberger Konkordie.
Mit dem Dokument legten die Kirchen nach über 400 Jahren einen innerprotestantischen Streit bei, der auf Zwingli und Luther zurückgeht. Die beiden konnten sich bei ihrem einzigen Treffen 1529 in Marburg nicht einigen, wie das Abendmahl zu verstehen ist. Luther lehrte, dass Christus in Brot und Wein physisch real gegenwärtig sei. Zwingli hingegen verstand das Abendmahl symbolisch.
Bis zur Gegenseitigen Verdammung
«Die innerprotestantischen Verwerfungen waren heftig, bis zur gegenseitigen Verurteilung und Verdammung», erklärt Reinhold Bernhardt, Professor für Systematische Theologie an der Universität Basel. Bis ins 20. Jahrhundert sei die Abgrenzung beim Abendmahl vergleichbar gewesen mit der heutigen zwischen Katholiken und Evangelischen.
Vor 50 Jahren sei die Zeit reif gewesen für eine Annäherung, sagt Bernhardt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Ökumene Fahrt aufgenommen. «Es herrschte Aufbruchsstimmung und innerhalb der evangelischen Kirchen konnte und wollte man sich eine Trennung nicht mehr erlauben. Man besann sich darauf, was das Evangelischsein ausmacht. Die Leuenberger Konkordie ist eine verbindliche Erklärung der Kirchen, die Kirchengemeinschaft auf europäischer Ebene zu vertiefen und langfristig zu verwirklichen.»
Neben dem gemeinsamen Abendmahl anerkennen die Kirchen seit 1973 gegenseitig ihre Ordinationen. So können lutherische Theologinnen oder auch Pfarrpersonen der Waldenserkirche ein Pfarramt in einer reformierten Schweizer Kirchgemeinde übernehmen.
Von Deutschland nach Gossau
Die positiven Folgen der Leuenberger Konkordie direkt erfahren hat die Gossauer Pfarrerin Friederike Herbrechtsmeier. Sie stammt aus der lippischen Landeskirche in Nordrhein-Westfalen – eine gemischte Kirche mit reformierten und lutherischen Gemeinden. «Meine Herkunftskirche ist sowohl Mitglied im lutherischen als auch im reformierten Weltbund. Als junge Erwachsene an beiden Versammlungen dabei zu sein, war ein grossartiges Erlebnis», erinnert sich Herbrechtsmeier. Zum Abschluss des Grundstudiums habe sie dann eine Konfessionskundeprüfung ablegen müssen. Im Nachhinein finde sie dies gar nicht so verkehrt. Beide Konfessionen schätze sie: das reformierte Abendmahlsverständnis und die lutherischen Bekenntnisschriften etwa oder die Wichtigkeit des Alten Testaments in der reformierten Theologie und die Betonung der Rechtfertigung in der lutherischen. «Ohne beides möchte ich nicht sein.»
Einheit trotz Unterschieden
Die Leuenberger Idee sei es, Verschiedenheiten stehen zu lassen und sich auf das zu einigen, worin man übereinstimmt, sagt Theologieprofessor Bernhardt. «Man einigt sich auf das Wesentliche, denn die Verschiedenheit ist auch ein Reichtum und darf bestehen bleiben.» Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, die aus der Leuenberger Übereinkunft hervorgegangen ist, zählt heute 94 Mitgliedskirchen aus fast allen Ländern Europas und vertritt rund 50 Millionen Protestanten aus reformierten, lutherischen, unierten, methodistischen und anderen evangelischen Kirchen. «Man fühlt sich heute als eine evangelische Kirche in verschiedenen Ausprägungen», betont Bernhardt.
400-jähriger Abendmahlstreit beigelegt